Über Sitte und Brauch

Julia Gaßmann im Gespräch mit Mikael Horstmann über Sitte und Brauch

Mikael Horstmann ist Kurator im Museum für Tafelkultur und Kochkunst in Frankfurt am Main. Dort habe ich mich mit ihm zum Gespräch über Sitte und Brauch in Bezug auf Essen und Kochen getroffen.

Er gibt Seminare zum Thema Etikette und Gastgeben, hat lange Zeit in der Gastronomie gearbeitet, kennt die Ausbildungsliteratur für Kellner seit etwa 1900 und interessiert sich für historische Eindeckungen. Im Museum wird demnächst eine Ausstellung zu historischen Menükarten und Speisemenüs gezeigt, nächstes Jahr folgt eine weitere zum Thema Fleisch.

 

Julia Gaßmann: Sitte und Brauch – Was sind für Sie die Unterschiede zwischen den beiden Begriffen?

Mikael Horstmann: Nicht ganz einfach. Wir haben es hier ja mit Alltagskultur zu tun, egal ob wir über Hochgastronomie sprechen oder normales Abendbrot. Diese ganzen Tischregeln basieren auf praktischen Regeln. Sie sind nicht willkürlich festgelegt und dienen auch nicht unbedingt dazu, was gerne behauptet wird, einen Rangunterschied herzustellen. Was man auch machen kann, man kann beim Essen durch bestimmte Etikette zeigen, dass man eher Oberklasse und nicht Unterklasse oder Arbeiterklasse ist, aber trotzdem basieren alle Regeln auf drei Grundregeln: nichts kaputt machen, nichts schmutzig machen und niemanden verletzen. Es gibt bei Tisch kaum Regeln, die nicht darauf zurückgehen. Das wäre für mich Sitte. Beim Brauch würde ich eher sagen, dass er einen gewissen Einfluss auf die Tafelkultur hat. Unter Brauch würde ich zum Beispiel eher das Kochen packen. Dabei gibt es ja auch Entwicklungen wie sich Sachen verändern. Und es gibt da erst mal nur die Regel, dass ich etwas, was giftig ist, irgendwie so zubereite, dass es bekömmlich wird, also durch Erwärmen oder andere Zubereitungs- techniken – das wäre die Regel niemanden zu verletzen. Aber der Rest ist einfach Geschmackssache… Ich würde das, was Brauch ist, in Form von Essen und von Dekoration sehen, also die Zubereitung und Ausgestaltung. Das ist ähnlich wie mit der Garderobe, die unterliegt auch Moden.

 

Zählt dazu auch was wir essen und nicht essen? Es gibt schließlich auch bestimmte Tiere, die, zum Beispiel in Deutschland, nicht gegessen werden…

„. oder nicht mehr gegessen werden. Wenn man alte Kochbücher liest, was da alles drin ist… da ist der Schwan drin, da ist das Eichhörnchen drin, jede Menge Vögel die man heute nicht mehr isst, da ist zum Teil noch Pferd drin. In ärmeren Haushalten gab es früher auch den Dachhasen, das ist eine Katze. Hund war oft ausgenommen, weil er doch meistens ein besonderer Begleiter war und ganz viele Aufgaben hatte. Pferd ist in Österreich immer noch ganz gängig in Fleischhauergeschäften, aber hier in Deutschland kaum zu haben.

Es gibt durchaus auch religiöse Regeln, die bestimmte Sachen verbieten. Wenn man die Schaffung der Erde genau liest, dann müssten wir eigentlich alle Vegetarier sein. Weil in der Schaffung der Erde heißt es, dass Gott die Pflanzen schafft als Nahrung für die Tiere und als Nahrung für die Menschen. Eigentlich steht in der Schöpfung nichts davon drin, dass wir Tiere essen sollen, sondern wir kriegen eigentlich von Gott die Pflanzen hingesetzt.

Dann gibt es später Einschränkungen, die wir im Judentum. auch noch haben, also kein Schweinefleisch und andere Sachen, die verboten sind oder zu bestimmten Zeiten verboten sind, beispielsweise Fleisch an den Fastentagen. Da war man aber auch sehr kreativ, zum Beispiel wurde ein Biber im Mittelalter als Fisch deklariert. Der hat einen Fischschwanz, der ist ein Fisch. Deswegen konnte man ihn dann auch während der Fastentage essen.

Dann haben wir andere gesellschaftliche Verbote wie zum Beispiel das Pferd, das ist kein religiöses Verbot, sondern da soll angeblich dahinter stecken, dass die Soldaten in Kriegszeiten nicht ihre Tiere schlachten, die sie eigentlich zum Kämpfen brauchen sollen.

Brauchtum findet man auch in Form von regional ausgeprägten Varianten von Speisen und Getränken. Also zum Beispiel in verschiedenen Biersorten, bei denen man schon am Namen ablesen kann, dass sie vor allem regionale Produkte waren: Pilsener, Gose aus Gosslar, das Kölsch. Auch bei den Wurstsorten in Deutschland kann man sehr schön ablesen wie jede Region ihre eigenen Wurstsorten kreiert und teilweise geht es auf ganz profane Sachen zurück, wie dass zum Beispiel hier in Frankfurt die Metzger in unterschiedliche Disziplinen geteilt waren. Deshalb haben wir die Frankfurter aus Schwein und die Rindswürstchen aus Rind.

Die Metzger haben sich, wie auch andere Handwerksbetriebe, noch mal aufgesplittet. In früheren Zeiten hat man das oft so gemacht, es wurde einfach eine bestimmte Anzahl an Betrieben definiert, die einen bestimmten Teil der Bevölkerung ernähren können durch ihren Beruf. Hier in Frankfurt wurde dann nochmal untergliedert und gesagt: wir haben einen Schweinemetzger, bei den Rindern sogar einen Ochs- und einen Kalbsmetzger und so weiter.

Also diese ursprüngliche Ausprägung würde ich unter Brauchtum fassen, einfach weil es auch gebraucht und entwickelt wurde. Heute haben wir eigentlich kaum noch Brauchtum, weil man jetzt versucht alles Traditionelle zu fixieren und möglichst gar nicht mehr zu verändern. Wenn man früher nicht neue Sachen entwickelt hätte, hätten wir heute gar nicht diese Spezialitäten in den Regionen. Seit den 1950ern versucht man eigentlich, das, was übrig geblieben ist aus der Vielzahl von Produkten, die man eigentlich hatte, zu fixieren und am besten noch zu schützen, damit es nie wieder verändert werden kann. Die Frage ist, ob es zukünftig einer regionalen Küche guttut, wenn man das so fixiert.

Wenn wir verschiedenste Speisen durchgehen, dann hängt ihre Qualität auch immer davon ab, was man für Techniken benutzen kann, um bestimmte Produkte zu entwickeln. Zum Beispiel diese ganzen Wurstsorten, wie wir sie heute in Frankfurt kennen, die vom Brät her sehr fein sind. Das ging eigentlich erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Erfindung von zwei Geräten, nämlich dem Fleischwolf und dem Kutter, der Fleisch sehr fein zerhacken und mischen kann. Vorher wurde das alles auf dem Hackbrett gemacht, aber so fein, wie wir das heute haben, ging es gar nicht. Das heißt also, wenn man da nicht neue Techniken eingesetzt hätte, hätten wir heute in der Form nicht die Frankfurter Würstchen.

Und wenn wir heute nicht Därme, die wahrscheinlich alle aus dem Iran kommen, es sind nämlich Schafsdärme, wenn wir die nicht importieren würden, hätten wir eigentlich unser regionales Produkt gar nicht mehr. So viel Schafe gibt es in Deutschland nicht mehr, als dass sie ausreichen würden, um die Vielzahl an Frankfurter Würsten zu machen.

Das heißt also, wir sind heute sogar abhängig davon, dass Sachen von außen kommen, damit wir unsere traditionellen Sachen bewahren können. Oder noch ein Frankfurter Beispiel ist die grüne Soße mit ihren 7 Kräutern. Wenn man alte Kochbücher aufschlägt, sind die Rezepte ganz anders, da hat man mal 5 Kräuter, mal 6, mal 7, mal 9 Kräuter und meist steht danach Saison – was einfach da ist. Das ist heute anders. Mit den Gewächshäusern kann man auf diese 7 fixierten Kräuter das ganze Jahr zugreifen und ob das jetzt noch lebendige Kochkunst oder -kultur ist, mag ich bezweifeln. Das hat für mich erstmal nichts mit Sitte zutun, hat aber auch nichts mehr mit Brauch zu tun, weil man sich gar nicht mehr richtig mit den Lebensmitteln auseinandersetzt.

Ich finde beim Brauchtum – klar ist da auch eine gewisse Tradition dabei – aber es ist auch sowas wie eine Sprache, die sich weiterentwickelt und gerade mit diesen fixierten Lebensmitteln entwickelt sich nichts mehr weiter und hört auf, Sprache und lebendige Kultur zu sein.

 

Religion, Technik und Regionalität üben also Einfluss auf unsere Bräuche aus. Was gibt es für Faktoren, die unser Verhalten und unsere Tischsitten beeinflussen?

Teilweise Kochtechniken und auch gewisse Moden. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist der Spargel. Es gab lange Zeit die Regel, dass Spargel nicht mit dem Messer geschnitten werden durfte. Früher war Spargel weich gekocht, der war wirklich labbrig; wenn man ihn hochgehoben hat, hing er runter. Heute wird er eher al dente gekocht. Wenn Spargel zubereitet ist wie früher, kann man ihn nicht schneiden, denn dann fasert er aus und schafft es immer sich an der Schneide wegzubewegen, sodass man nicht durchkommt. Der Spargel sieht dann aus wie… er sieht nicht mehr schön aus. Und deswegen hat man früher andere Techniken benutzt, entweder
gefaltet, versucht ihn aufzuspießen und als ganzes Stück zu essen oder mit Geräten oder den Fingern hochgezogen und dann eingeschlürft – was man heute auch nicht mehr so gerne sieht. Das geht nicht mehr, weil der Spargel al dente gekocht ist und damit viel zu starr, man könnte ihn weder klappen noch einschlürfen. Jetzt lässt er sich aber schneiden.

Wahrscheinlich kam früher auch noch dazu, dass die alten Messerklingen aus einem anderen Material waren und teilweise ganz empfindlich was Säuren betrifft. Im Spargel ist auch eine gewisse Säure drin, heute mit dem al dente gekochten Spargel würden die alten Stahlklingen wahrscheinlich anlaufen. Das heißt also, auf die Tischetikette wirkt einerseits die Materialität der Geräte, die ich benutze und es wirken die Kochtechniken, Zubereitungstechniken und Serviermethoden. Da kann
man immer schön sehen wie sich Etiketteregeln wandeln und den Kochmoden folgen.

 

Glauben Sie, dass eine Mode wie das Fast Food etwas an unseren Tischsitten ändern wird oder schon tut?

Also Fast Food ist nichts Neues, wenn ich was ganz Traditionelles auf dem Markt esse, dann ist das meist eine Bratwurst im Brötchen oder mit einer Scheibe Brot daneben. Das ist keine neue Erfindung, sondern geht zig Jahrhunderte zurück. Straßenessen gibt es schon seit Ewigkeiten. Das ist etwas, was man unkompliziert unterwegs essen kann und schon immer mit den Fingern gegessen wurde, bis auf wenige Ausnahmen. Man weiß auch, dass viele Haushalte in Frankfurt gar keine eigene Küche hatten, gerade in den Altstadtgebieten.

Also eigentlich hat sich im Fast Food fast nichts verändert, aber in der gehobenen Gastronomie, da hat sich geändert, dass wir kaum noch was mit den Fingern essen. Das Essen mit den Fingern, was früher viel öfter Usus war, wurde fast komplett rausgestrichen.

Bis auf das sogenannte Fingerfood. Aber bei den meisten Veranstaltungen, bei denen Fingerfood gereicht wird, kann man die Sachen gar nicht mehr mit den Fingern konsumieren, weil sie auf irgendwelchen Löffeln oder kleinen Tellerchen mit Gabel oder kleinen Schüsselchen serviert sind – das hat eigentlich nichts mit Fingerfood zutun. Selbst das Fingerfood als ein etwas gehobeneres Fast Food hat das Essen mit den Fingern verlernt. Früher hatte man das bei vielmehr Speisen, sei es beim Spargel, bei Wachteln, generell bei kleinen Vögeln, weil ihre Knochen viel zu klein sind, um mit Besteck zu hantieren, Froschschenkel, die ganzen Meeresfrüchte, Langusten, Hummer. Heute wird fast alles so präpariert, dass man es nur noch mit Werkzeug essen kann und sich die Finger nicht mehr schmutzig machen muss.

 

Merkt man diese Tendenz auch an einer größeren Anzahl an Besteck und Geschirr?

Im Moment ist es ja eher wieder rückläufig. Wenn ich mir angucke, was man so im 18., 19. Jahrhundert an Besteckteilen erfunden hat, um Besteck für nur ein bestimmtes Gericht zu haben. Das Letzte was man so erfunden hat, war wahrscheinlich ein extra Pizzabesteck oder Pastabesteck, bei denen einige Besteckhersteller dachten, dass man das als Modetrend auf den Markt bringen könnte.

Im Moment ist es eher rückläufig. Auch wenn man in die gehobene Gastronomie geht, haben die sich sehr stark auf ein Standardbesteck reduziert. Zum Beispiel Fischbesteck ist selten geworden, weil nämlich die Funktion oder der Nutzen des Besteckes wegegefallen ist. Früher hat man viel häufiger ganzen Fisch bekommen mit all den Gräten und heute kriegt man meist nur noch den filetierten Fisch, da sind gar keine Gräten drin. Diese stumpfe Klinge, die nur zum Schieben benutzt wird – es ist ja kein Schneidwerkzeug, sondern eher ein Schiebwerkzeug – sodass die Notwendigkeit weggefallen ist, so ein Fischmesser überhaupt zu haben.

Dadurch, dass wir heute ganz andere Materialien in den Klingen haben, ist ja auch das Problem weggefallen, dass das Fischeiweiß irgendwie mit den alten Klingen reagieren kann. Da wird teilweise auch Zitrone eingesetzt und auch die Zitronensäure konnte den Kohlenstoffstahl angreifen. Das ist heute alles weggefallen. Unsere Cromarganklingen, die wir meist in Restaurants finden, reagieren auf fast gar nichts und da hat man eine Kombination aus Anrichtetechnik und Materialwechsel, weshalb bestimmte Spezialwerkzeuge wegfallen. Eigentlich haben wir, was die Bestecke betrifft, eine starke Reduzierung in den letzten zwei Jahrzehnten gehabt.

 

Auch beim Service? Wenn ich den Schrank meiner Großmutter mit meinem eigenen Schrank vergleiche, dann fällt mir auf, dass sie noch viel spezialisiertes Geschirr hatte (Kaffeetasse, Teetasse, Untertasse, Zuckerlöffel…) und ich eher multifunktionale Sachen besitze (z. B. nur einen Becher für Heißgetränke).

Jein. Bei den Tellern ist es nicht sehr viel mehr eingeschränkt. Wir haben den kleinen Teller, den man als Kuchenteller und als Frühstücksteller benutzen kann, dann haben wir im Normalfall den großen Speiseteller, dann den tiefen Suppenteller und wenn man sich ein bisschen spezialisieren will auch die Suppentasse mit unterer Tasse. Bei Familiengeschirr ist die Suppentasse eher selten, da hat man meist nur einen Suppenteller.

Das ist auch eigentlich die Grundausstattung eines Restaurants. Früher hatte man eine Trennung zwischen dem, was in den Suppenteller und was in die Suppentasse reinkommt. Bei den Suppentassen hatte man eine Unterteilung: eine normale klare Suppe, die kam in die Suppentasse und dann gab es die stärker eingekochten, die Consommé oder Consommé double, die in einer Consommétasse, die viel kleinerwar und meist auch nur mit einem Henkel versehen. Ungefähr so groß wie eine Kaffee- oder Teetasse, teilweise aber auch kleiner. Das gibt es in den meisten Gaststätten gar nicht mehr, also da gibt es auch eher eine Reduzierung.

Klar, bei Tee- und Kaffeetassen sieht man ganz deutlich den Unterschied. Ich bin heute immer noch der Meinung, dass der Tee aus einer Mug nicht schmeckt. Bei so bestimmten Sachen haben die Leute ein bisschen verlernt, warum bestimmte Materialien so sind wie sie sind. Die Kanne ist so geschützt, damit das Getränk warm bleibt und die Tasse ist dafür da, um es in kleinen Mengen auf Trinktemperatur runterzukriegen. 40-50 Grad, damit man sich nicht den Mund verbrennt, was gerne passiert bei Thermoteegläsern, bei denen man stundenlang warten muss, bis man was trinken kann. Ja, es ist so, dass in den meisten Haushalten viel weniger spezialisiertes Geschirr zu finden ist. Man kann da schon froh sein, wenn da nicht nur Mugs sind, so Kaffeebecher, und wenn die auch noch vom gleichen Hersteller mit dem gleichen Dekor sind.

 

Warum haben sich Ihrer Meinung nach gerade um das Thema Essen so viele Sitten und Bräuche entwickelt? Weil es uns so nah ist?

Das Essen ist nach dem Atmen, glaube ich, das Zweitwichtigste, was wir machen müssen. Wir müssen einfach Nährstoffe aufnehmen. Die Nährstoffe definieren auch ein bisschen wer wir sind und es gibt natürlich auch viele Sachen, die krank machen können. Also unter Sitte fallen ja im weiteren Sinn auch Hygiene und Hygienevorschriften. Zum Teil gehen auch religiöse Regeln auf solche Hygienevorschriften zurück. Das heißt also, das Essen ist etwas, was uns arbeiten lässt, was uns leben lässt oder auch krank werden lässt, sterben lässt und deswegen gab es daschon immer auch ein Interesse, bestimmte Sachen zu reglementieren. Wenn wir schauen, wie viele Lebensmittelvorschriften wir haben, schlagen wir sogar das deutsche Steuerrecht. Es ist einfach etwas so dermaßen
Essentielles und zum Teil auch gemeinschaftsstiftend. Da kommen wir wieder in das Brauchtum. Das gemeinsame Essen, entweder tagtäglich oder bei Festen, wo Essen und Trinken ein essentieller Bestandteil ist – es gibt ja kaum Festivitäten, bei denen nicht gegessen und getrunken wird oder auch religiöse Feiertage mit bestimmten Essen verbunden werden.  Also einerseits Hygiene, andererseits dieses Gemeinschaftsstiftende, Soziale, deswegen haben wir beim Essen so viele Regeln und Bräuche.

Meine Schwierigkeit hier im Museum und auch generell bei Publikationen oder Vorträgen ist dieses Auseinanderdividieren, was bei Essen und Trinken so schwer ist. Denn wir haben da Ethik drin, Medizin, Biologie, Chemie und wir haben das Religiöse drin, wir haben das Soziale drin, wir haben da Landwirtschaft und generell Technik drin, was ja Naturwissenschaften im weiter en Sinne sind. Das heißt also, Essen und Trinken berührt eigentlich alle Forschungsbereiche, die man sich so vorstellen kann. Manchmal überlagert sich das auch und man findet gar nicht so genau heraus, warum wir das eigentlich so oder so machen, weil wir den Ursprung und den Gedanken, der dahinter steckt, verloren haben. Es ist schwierig zu sagen, das ist nur das oder das. Die Themen beeinflussen sich alle gegenseitig.

Dass wir heute einfach mit einem Blitzhacker oder einem Pürierstab Sachen machen, die man früher mit einem Messer oder mit einem Hackmesser gemacht hat oder mit dem Fleischwolf oder dem Kutter. Oder dass wir heute eine andere Kühltechnik haben und deswegen hier ganz andere Speisen zubereiten können,
die uns nicht gleich umbringen, weil wir Mayonnaise oder Eiscreme haben. Dass man heute mit Zucker ganz anders umgeht als vor 100 Jahren oder auch 300 Jahren, wobei die früher in den gehobeneren Kreisen auch sehr verschwenderisch mit Zucker umgegangen sind. Aber das ist alles schwierig zu sagen, was beeinflusst jetzt genau eigentlich was und deswegen ist die Frage nach Sitte und Brauch nicht leicht zu beantworten.

Das Gespräch führte Julia Gaßmann im Oktober 2017 im Kochkunstmuseum in Frankfurt am Main.

 

Das Gespräch erschien in NEUWERK – Zeitschrift für Designwissenschaft #5 süß-sauer (mit scharf), Berlin 2018 ISBN 978-3-947045-09-9

NEUWERK ist eine Publikation der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.